– Warum eine Unterbrechung manchmal der richtige Weg ist
Stellen Sie sich vor, Sie sind Führungskraft und führen ein Feedbackgespräch mit einem Mitarbeitenden. Sie haben etwas beobachtet, das der Person selbst vielleicht nicht bewusst ist, und möchten einen Hinweis geben, wo noch Entwicklungspotenzial liegt. Sie treffen einen wunden Punkt – und der Mitarbeitende reagiert mit Tränen.
In diesem Moment entscheiden Sie sich, das Gespräch zu unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt fortzuführen. Im Nachgang fragen Sie sich: War das richtig?
Aus meiner Sicht lautet die Antwort klar: Ja – und ich möchte hier die Gründe dafür darlegen.
1. Emotionen sind erlaubt – aber keine Basis für Sachgespräche
Tränen oder andere emotionale Reaktionen sind menschlich und dürfen ihren Platz haben. Sie zeigen, dass ein Thema die Person berührt. Gleichzeitig sind Emotionen keine stabile Grundlage, um ein sachliches Gespräch fortzusetzen. Unterbrechen bedeutet nicht, das Thema zu verschweigen – sondern anzuerkennen, dass der Mitarbeitende etwas Zeit braucht, um wieder in die Lage zu kommen, reflektiert und auf Augenhöhe zu sprechen.
2. Respekt vor dem Menschen und Vertrauen in die persönliche Kompetenz
Indem Sie das Gespräch verschieben, vermitteln Sie: Ich sehe dich als Mensch, und ich traue dir zu, mit diesem Feedback, eigenen Schwächen und Grenzen konstruktiv umzugehen.
Nach einer kurzen Phase der Reflexion kann der Mitarbeitende sich zweckdienlicher mit dem Thema auseinandersetzen. Sie zeigen damit, dass Sie nicht gegen die Person, sondern für ihre Entwicklung sprechen.
3. Weich zum Menschen – hart in der Sache
Gute Führung bedeutet, empathisch zu sein und dennoch klar bei der Botschaft zu bleiben. Ihr Feedback dient nicht dazu, den Mitarbeitenden kleinzumachen, sondern dazu, das Unternehmen und die Person weiterzubringen. „Weich zum Menschen, hart in der Sache“ beschreibt genau diesen Spagat: Emotionen haben ihren Raum, die Entwicklungsaufgabe bleibt jedoch bestehen.
4. Gespräche auf Augenhöhe ermöglichen
Ein Mensch in einer starken emotionalen Reaktion agiert oft aus einem „Überlebensmodus“ heraus – impulsiv und reaktiv. Der Feedbackgeber hingegen ist auf das Thema vorbereitet und denkt analytisch. Damit ein echtes Gespräch auf Augenhöhe stattfinden kann, braucht es eine gemeinsame Grundlage. Diese entsteht erst dann, wenn Emotionen etwas abgeklungen sind.
5. Stärken statt schwächen
Tränen können leicht den Eindruck erwecken, dass jemand überfordert oder geschwächt ist. Doch Ihre Absicht als Führungskraft ist nicht, den Mitarbeitenden zu schwächen, sondern zu stärken. Indem Sie das Gespräch verschieben, machen Sie klar: Ich will dich nicht in der Emotion festhalten, sondern mit dir gemeinsam einen Schritt nach vorne gehen.
6. Führung heißt, den Weg sichtbar zu machen
Nach Otto Scharmer (Theorie U) besteht die Kunst in der Begleitung von Entwicklung und Veränderung darin, das „Future Self“ ins Auge zu fassen – also den Menschen so wahrzunehmen, wie er oder sie sein kann, wenn die aktuelle Hürde überwunden ist. Genau das geschieht durch Ihr Feedback: Es unterstützt den nächsten Schritt auf dem Weg zum gewünschten Zielzustand – dorthin, wo es stimmig und förderlich ist. Manchmal braucht es dafür einen Moment des Innehaltens, um den Blick von der Schwierigkeit auf das Ziel zu richten.
7. Auch als Führungskraft nicht in den „Gefälligkeitsmodus“ verfallen
Tränen können beim Anderen etwas auslösen: den Wunsch, niemandem wehzutun oder es allen recht zu machen. Doch wer an dieser Stelle das Feedback abschwächt oder zurücknimmt, vermeidet den eigentlichen Punkt – und steigt selbst in den „Überlebenskampf“ ein. Nachhaltige Führung bedeutet, empathisch zu bleiben, aber die Botschaft nicht zu relativieren.
Empfehlung:
Wenn sich die Emotionen bis zum nächsten Gesprächstermin nicht gelegt haben, kann ein Gespräch während eines Spaziergangs hilfreich sein. Dabei gibt es weniger direkten Augenkontakt, was die Situation oft entspannter wirken lässt, ohne dass das Gespräch an Nähe verliert – im Gegenteil: das gemeinsame Gehen kann eine Verbindung schaffen, die das gegenseitige Verstehen erleichtert. Pausen zur Reflexion und zum Finden eigener Gedanken und Sichtweisen lassen sich dabei leichter aushalten.
Fazit: Emotionen anerkennen, Gespräch fortsetzen
Emotionen sind menschlich, sie brauchen Zeit und Raum. Doch ein Feedbackgespräch darf nicht im Gefühl steckenbleiben. Wichtig ist, das Gespräch, wenn nötig später weiterzuführen – damit klar wird: Emotionen führen nicht zum Abbruch, sondern sind Teil des Prozesses.
Ob Freude oder Tränen: Gefühle spiegeln verbindet. Doch es bleibt Aufgabe der Führungskraft, die Verantwortung nicht an die Emotion abzugeben, sondern den Mitarbeitenden darin zu stärken, mit dem Feedback zu wachsen.
So entsteht eine Kultur, in der Entwicklung möglich ist – menschlich, respektvoll und wirksam.